zur Eröffnung der internationalen Konferenz "Philosophie, Interpretation, Werte"
(23.-25. September 2004, Goethe-Institut Sofia)
Uwaschaemi Dami i Gospoda!
Skapi Gosti!
Ich begrüße Sie herzlich im Namen der Österreichischen Botschaft und mit Ihrer Erlaubnis für die österreichischen Institutionen sprechend auch im Namen des Wissenschaftsbüros Österreich (ASO Sofia) und des Institutes für axiologische Forschungen.
Erst die Zusammenarbeit verschiedener Stellen aus unseren drei Ländern (Bulgarien, Deutschland, Österreich) hat die Verwirklichung der Konferenz ermöglicht. Ich gratuliere den Organisatoren und allen Beteiligten zu dem vielfältigen und bunten Programm, das zahlreiche namhafte Wissenschafter und Philosophen vereint. Ein wahrhaft europäisches Projekt. Ich denke, es ist fast programmatisch, dass diese Konferenz mit dem Titel "Philosophie, Interpretation, Verantwortung" in Sofia stattfindet, eine Stadt, ein Land am Ende der Transformation zur Mitgliedschaft zur Europäischen Union 2007.
Erlauben Sie mir bitte einige Gedanken zur Philosophie und zur Freiheit. Ich möchte gleich einen ganz großen Philosophen ohne den die Geschichte der Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts so nicht möglich gewesen wäre gedenken und an ihn anknüpfen: Edmund Husserl (1859-1938). Für ihn bestand Philosophie aus dem Versuch über das Meinen und das Glauben hinauszukommen und das Wesen der Dinge zu erkennen. Und zwar meinte er damit dasjenige Denken und Erkennen, das frei ist von Vorurteilen des Meinen und des Glaubens. Es müsste der Philosophie darum gehen, den Horizont der Horizonte zu erforschen, sich den Wahrnehmungsgegenstand der Menschen zu erforschen. Die Lebenswelt der Menschen (alles was Menschen vorfinden und was sie machen) ist der eigentliche Gegenstand der Philosophie. Husserl ging es darum herauszufinden wie sich die Dinge unserem Bewusstsein in Ihrer Unmittelbarkeit darstellen, wie sie sich originär darbieten. Dort wo es für den Menschen nicht möglich ist, gültige Aussagen zu treffen, ist es besser sich des Urteilens zu enthalten und alle Meinungen und Positionen von der Welt einzuklammern, auch die von der Existenz der Welt.
Bereits in der Einladung der Österreichischen Botschaft zu dieser Konferenz haben wir Immanuel Kant (1804-1884) zitiert, der meinte es sei dem menschlichen Verstand gegeben, zu erkennen, auf metaphysischen Fragen keine absolute Antworten geben zu können. Doch möchte ich dennoch einige Reflektionen über den Begriff der Freiheit anstellen. Denn er ist eng mit der Verantwortung und der Interpretation der Verantwortung verbunden.
Ich darf dazufügen: den vermeintlichen Begriff der Freiheit. Für Kant lag darin der Sinn der Aufklärung. Wage es frei zu denken. Freiheit liegt, meinte er, in der Verantwortung der eigenen Wahl.
Doch Menschen leben in einer Welt, die vor Ihnen da waren. Sie leben eigentlich in vielen Welten. Unser Denken, unser Fühlen, unser inneres Gesetz ist geprägt vom Milieu, von der Umgebung, von unserer Sozialisation. Der Mensch, lehrte Schopenhauer, ist durch seinen Charakter vorbestimmt, wenn man ihn kennt, weiß man, wie er handeln wird. Spinoza drückte es sehr plastisch aus: Wenn Steine ein Bewusstsein hätten, würden sie lernen zu fallen. Er meinte damit, dass wir einem inneren Gesetz folgen. Für ihn bestand Freiheit in der Anpassung an das Wirken der Notwendigkeit.
Nur der, der das innere Gesetz nicht kennt, meint frei zu sein. Warum träumen wir, was wir träumen? Nach Sigmund Freud soll man den Gedanken der Freiheit streichen und durch inneren Determinismus ersetzen. Kierkegaard, der Vater der Existenzphilosophie, meinte, der subjektive Reflex der Freiheit sei Angst. Wenn es stimmt, dass wir Geist in Materie sind, also denkende Tiere, Bewusstsein im Körper, dann stellt sich die Frage: Wie kann man Freiheit aushalten? Wie kann man die Angst vor der Freiheit so beruhigen, dass ein Mensch riskiert, er selbst zu sein. Sein eigenes Leben zu leben. Und nicht mehr das Leben betrachten muss als eine Bühne unendlicher Rollen, die er nie selber spielt. Vielleicht ist Freiheit eine Überforderung, fragte Dostojewski.
Dennoch und gerade eben deshalb ist das Streben nach Selbstverwirklichung – nach Aristoteles das höchste Ziel des Menschen – gültig und das ganze Programm der Psychoanalyse ist es ja, das fremdbestimmendes Es durch die Souveränität des Ich zu ersetzen. Wo Es war, soll Ich kommen. Freiheit also als Selbsterkenntnis und als Selbstverwirklichung. Es bedeutet, dass wir in die Sphäre des Unendlichen hinein steigen und in der Sphäre der Endlichkeit Entscheidungen treffen. Freiheit ist dann eine Synthese aus der Notwendigkeit und dem Möglichen. Jenseits der Notwendigkeit entdecken wir Spielräume, wodurch die Freiheit erst wirklich wird, und begrenzen andrerseits das Mögliche.
Wir können die Angst vor der Freiheit lösen durch Vertrauen und Vergeben. Indem wir zum anderen sagen: „Ich stehe zu Dir. Ich glaube, dass Dein guter Wille, selbst aus dem Falschen, am Ende imstande ist, zu lernen, was gültig bleibt. Du musst Dein Leben nicht spielen, Du bist verwurzelt im Boden und kannst Dich nach oben hin entwickeln. Du darfst Dich selbst ernst nehmen und reifen wie ein Baum“.
Vertrauen und Vergeben ist eine Gnade, die wir von anderen Menschen – hoffentlich – empfangen und die wir weitergeben dürfen. Vergeben ist erst die Voraussetzung, Freiheit zu empfangen. Diese Spannung durchzutragen, bedeutet Mensch zu sein, bedeutet es Seele zu haben, bedeutet es der Seele Flügel zu geben und zu verweilen in der Sehnsucht nach der Unendlichkeit.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Suche nach Antworten auf Seinsfragen, Fragen nach Verantwortung, Interpretation und Wesen der Philosophie. Sie haben sich ein sehr hohes Ziel gesetzt.